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Von der Loveparade zur Nachttanzdemo

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Im Supergedenkjahr steht der Republik heute ein weiteres Jubiläum ins Haus: Für den 1. Juli 1989 wurde die in Berlin erstmals die Loveparade als Demonstration für „Friede, Freude, Eierkuchen“ angemeldet & genehmigt. Am betreffenden Samstag-Nachmittag zogen dann etwa 150 Raver mit elektronischer Musik über den Kurfürstendamm und prägten den Prototyp, der in den folgenden Jahren zum Massenspektakel avancierte. Auch wenn sich etwa Miterfinder Dr. Motte bereits länger von der Entwicklung des Events distanziert hat und die für dieses Jahr in Bochum geplante Loveparade gleich ganz ausfällt, hat sich die Veranstaltungsform der Straßenparade im Repertoire städtischer Inszenierungen etabliert. Und ist in einer (re-)politisierten Variante auch in der Provinz angekommen: An diesem Samstag, dem 4. Juli, findet in Gießen unter dem auch nicht gerade glücklichen Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ eine Nachttanzdemo (Programm) statt. Zur historischen Einordnung dieser ganzen Chose hier der Hinweis

  1. auf ein zeitgenössisches Dokument zur Nachttanzdemo 2002 in Frankfurt am Main und
  2. auf eine 2002 erschienene Publikation, in der ich unter dem Titel „Partypolitik und Protestparaden“ jugendkulturelle Phänomene des Politischen thematisiere.

Notizen aus der Provinz: Hessen wählt neu!

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Gestern kamen die ersten sozialdemokratischen soundbites des neuen Jahres aus Gießen, wo die hessische SPD in die heiße Phase des Landtagswahlkampfs startete. Die Anwesenheit des Bundesvorsitzenden Franz Müntefering garantierte ein gesteigertes Interesse auch der überregionalen Medien, die Ausschnitte aus seiner Rede in Nachrichtensendungen und den sonntäglichen Magazin-Formaten des öffentlich-rechtlichen Polit-Fernsehens versendete. Die Inszenierung in der Kongresshalle garantierte dafür ein volles Haus, insofern die Strategen den Saal durch Abtrennung geschickt verkleinert hatten.
In der Dramaturgie vor Ort bildete der Auftritt von Müntefering jedoch nur den Höhepunkt einer vom Superwahljahr 2009 geprägten Präsentation sozialdemokratischer KanditatInnen. Den Auftakt übernahm ex-MP-in-spe Andrea Ypsilanti, die  von der Begrüßung der Honoratioren recht schnell zur Weltpolitik gelangte, um einen Frieden im Nahen Osten zu fordern. Darauf folgte dann ein lokales Line-up mit der Kandidatin für das Gießener Oberbürgermeisteramt, dem Landtagsabgeordneten Gerhard Merz und dem Europaparlamentarier Udo Bullmann. Diese Runde wurde durch den Einmarsch der Hauptakteure beendet: Seit an Seit schritten Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel und der SPD-Bundesvorsitzende durch das drängende Spalier der Meute (Herlinde Koelbl).

TSG nutzte das Heimspiel und garnierte seine programmatischen Aussagen mit biografischen Details: die Gießener Nordstadt builds character, könnte man danach sagen, und Hans-Jochen Vogel habe auf dem selben Gymnasium Abitur gemacht. Verweise auf die SPD-Bundesminister Steinmeier und Zypries, die wie Schäfer-Gümbel zeitweise an der Gießener Uni gewirkt haben, fehlten hingegen. Im Anschluss präsentierte sich Franz Müntefering in seiner selbst von Theater-Connaisseur Harald Schmidt goutierten Paraderolle als „Münte“ und schwelgte in gleichermaßen wolkigen wie markigen Metaphern: Die auf eine unverantwortlich (a)gierende Finanzwelt gemünzte Rede vom „modernen Raubrittertum“ verdichtete die unspezifischen Vorstellungen des Publikums ähnlich erfolgreich wie die von ihm geprägte Bezeichnung „Heuschrecken“. In der Berichterstattung ging dabei das erste Wahlversprechen für die kommende Bundestagswahl unter: Wenn die SPD den Kanzler stellt, werde die Übungsleiterpauschale erhöht werden; gewissermaßen eine sozialdemokratische Tradition wie Müntefering argumentierte. Dann nahte jedoch in Mittelhessen der Zeitpunkt für das Mittagessen, so dass eine noch anstehende Mitglieder-Ehrung aufmerksamkeitsökonomisch ins Hintertreffen geriet. Vor der Halle wartete der Wagen von TSG bereits mit laufendem Motor, während Münte noch Zeit für einen kurzen Plausch mit der Meute fand. Ein Auftakt nach Maß, mögen die Verantwortlichen gedacht haben, bis am Abend die geplante Demission des ebenfalls anwesenden Generalsekretärs und Wahlkampfmanagers Norbert Schmitt (rechts oben im Hintergrund) im Anschluss an die Landtagswahl bekannt wurde. Mehr dazu und zum Web-Wahlkampf ab heute in der tagesaktuellen Netz-Presseschau des Hessischen Rundfunks.